Ein starkes Duo

Wie KI und etablierte Scores Leben retten können

Sepsis ist eine der tückischsten Erkrankungen im Krankenhausalltag – und gleichzeitig eine der am häufigsten unterschätzten. Laut Robert-Koch-Institut und Sepsis-Stiftung sterben jährlich 85.000 bis 90.000 Menschen in Deutschland an oder mit Sepsis – mehr als bei Brust-, Darm- und Prostatakrebs zusammen.

Ein starkes Duo - Wie KI und etablierte Scores Leben retten können.

Die Krankenhausmortalität liegt in Deutschland je nach Kollektiv zwischen rund 30 und 40 Prozent.

Besonders dramatisch: Viele dieser Todesfälle wären vermeidbar. Etwa ein Viertel der tödlichen Sepsis-Verläufe könnte durch geeignete Screenings verhindert werden – also 20.000 Fälle jedes Jahr. „Die Früherkennung ist lebensentscheidend“, weiß Stephan Gyßer, Product Specialist Medical Analytics bei Dedalus HealthCare. „Die Sterblichkeit steigt mit jeder Stunde ohne adäquate Therapie.“

Im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien, den USA und Australien fehlen in Deutschland bisher flächendeckende Frühwarnsysteme, standardisierte Behandlungspfade und verpflichtende Qualitätsvorgaben. Das wird sich jedoch ändern.

Am 1. Januar 2026 tritt eine neue Qualitätsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Sepsisprävention und -erkennung in Kraft. Damit soll die frühzeitige Erkennung und Therapie einer Sepsis durch ein Maßnahmenpaket sichergestellt werden.

Neue Qualitätsrichtlinie bedeutet Herausforderung für Kliniken

Für die Krankenhäuser bedeutet die Richtlinie eine Zäsur. Neben organisatorischen Fragen geht es auch um Technik, Prozesse und Schulung. „Digitale Systeme spielen dabei eine Schlüsselrolle“, betont Gyßer. „Denn nur, wenn Warnungen direkt im klinischen Informationssystem integriert sind, lassen sie sich in der Praxis zuverlässig umsetzen.“

Dedalus HealthCare kombiniert klassische Scores wie den NEWS2 mit dem clinalytix Medical AI Sepsis-Modell und entwickelt aus dieser Kombination einen verlässlichen Sepsis-Alert. „Wir erkennen Patienten mit Sepsisrisiko bereits in einem sehr frühen, oft noch kompensierten Stadium – lange bevor Vitalwerte dramatisch entgleisen“, so der Product Specialist. „Die KI erkennt subtile Muster, noch bevor klassische Scores anschlagen. Gleichzeitig werden untypische Verläufe durch die Scores zeitnah erkannt.“

 

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Wie sieht das im Klinikalltag aus?

Die Funktionsweise lässt sich am besten an konkreten Beispielen verdeutlichen: Ein 68-jähriger Patient wird nach einer elektiven Sigmaresektion überwacht. Am zweiten postoperativen Tag ist er abgeschlagen, hat leicht erhöhte Temperatur und eine erhöhte Atemfrequenz. Der NEWS2-Score liegt bei 3 – grenzwertig, aber noch kein Alarmsignal.

Das KI-System erkennt jedoch eine auffällige Konstellation: Der CRP steigt disproportional, die Laktatwerte zeigen eine beginnende Gewebeminderdurchblutung, und die Atemfrequenz war in den letzten zwölf Stunden ansteigend. Der Alert erreicht den diensthabenden Arzt mit Hinweis auf ein mögliches postoperatives Infektionsgeschehen. Eine frühe CT-Abklärung zeigt einen intraabdominellen Abszess – die rasche Drainage und Antibiotikatherapie verhindern eine systemische Ausbreitung.

Umgekehrt funktioniert das System bei plötzlichen Verläufen: Ein 29-jähriger Patient mit grippalem Infekt entwickelt nachts innerhalb weniger Stunden eine fulminante bakterielle Sepsis. Die KI hat aufgrund des jungen Alters und fehlender Vorerkrankungen ein geringes Risiko bewertet. Als jedoch Atemfrequenz, Puls und Temperatur rapide ansteigen und der Blutdruck fällt, springt der NEWS2-Score deutlich über den Schwellenwert. Das regelbasierte System schlägt Alarm, das Notfallteam wird alarmiert und binnen 30 Minuten eine Antibiotika-Therapie begonnen.

 

Erfolgreiche Umsetzung im Marienhospital Stuttgart

Das Marienhospital Stuttgart ist seit über fünf Jahren in die Entwicklung des Systems eingebunden und seit etwa sechs Monaten im intensiven Test- und Anpassungsbetrieb. Dr. Tobias Weckmann, Facharzt für Anästhesiologie am Marienhospital Stuttgart, nennt die Motivation: „Wir erwarten eine raschere Identifikation von Patienten, die das Risiko einer Sepsis haben. Bei der Sepsis ist es sehr wichtig, eine möglichst rasche Reaktion zu erreichen, um das Outcome der Patienten zu verbessern.“

Besonders in Hinblick auf die kommende QS-Richtlinie sieht er große Vorteile: „Im Rahmen der QS-Sepsis müssen wir jeden Patienten auf Sepsis screenen, das ist manuell nicht zu leisten. Von clinalytix Medical AI erhoffen wir uns, den personellen Aufwand zu reduzieren und trotzdem eine valide Aussage zum Sepsisrisiko zu erhalten.“

Das Marienhospital nutzt beide Lösungen: Status und Prädiktion. Beide laufen parallel bei einem Patienten. Der Rollout erfolgt stationsweise, beginnend mit einer internistischen Station. Zunächst kümmert sich ein Experten-Team um die Alarme, später sollen auch die Stationen direkt reagieren können.

Die Validierung des Systems erfolgte systematisch: „Am Anfang habe ich das KI-Tool über Listen laufen lassen und die Ergebnisse mit Intensivkollegen abgeglichen“, berichtet Weckmann. „Ich habe geschaut, welche Patienten einen Alarm hatten und dann geprüft, wer auf die Intensivstation kam. Die Ergebnisse waren sehr gut – sowohl beim direkten Abgleich als auch bei der späteren Überprüfung anhand der Arztbriefe.“

 

Weniger Alarmmüdigkeit, mehr Patientensicherheit

Ein entscheidender Vorteil des Systems liegt in der gezielten und erklärbaren Alarmierung. Die Alerts sind kontextsensitiv, priorisiert und in klinische Workflows eingebettet. Dadurch wird die gefürchtete „Alarmmüdigkeit“ der Anwender durch zu viele unspezifische Warnungen vermieden.

Die Auswirkungen auf die klinische Routine sind unmittelbar spürbar: Früheres Eingreifen führt zu niedrigerer Mortalität und kürzerer Verweildauer. Das klinische Personal erhält Entscheidungshilfen statt Entscheidungen, die interprofessionelle Kommunikation verbessert sich, und die Dokumentation wird transparenter.

„Wir unterstützen die Teams dabei, kritische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen – ohne sie mit Alarmen zu überfrachten“, fasst Gyßer zusammen. „Die Warnungen sind gezielt, erklärbar und klinisch anschlussfähig.“

Mit der neuen G-BA-Richtlinie steht Deutschland vor einem Wendepunkt in der Sepsis-Behandlung. Die Kombination aus KI und bewährten medizinischen Scores bietet dabei einen vielversprechenden Weg, um mehr Leben zu retten und die Versorgungsqualität nachhaltig zu verbessern.

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