Think Big (Data)

Interview mit Dr. Michael Dahlweid, Dedalus HealthCare

Interview mit Dr. Michael Dahlweid, Dedalus HealthCare

Die Transformation des Gesundheitswesens durch Big Data ist bereits Realität, es werden konkrete Anwendungsfälle und ihre Implementierung diskutiert. Welche Use-Cases das sind, und welche Chancen Big Data bietet, erläutert Dr. Michael Dahlweid, Chief Product and Clinical Officer, im Interview.

 

Wo liegen die Potenziale von Big Data im Gesundheitswesen, Doktor Dahlweid?

Dr. Michael Dahlweid: Die Potenziale sind immens. Wir sehen Anwendungen in der Frühdiagnose von Krankheiten bis hin zur Optimierung klinischer Abläufe. Besonders spannend ist die Möglichkeit, durch retrospektive Analysen großer Patientenkohorten die Qualität von Behandlungen kontinuierlich zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um die Rückschau, sondern auch um prädiktive Analysen: Welche Risiken könnten in Zukunft auftreten? Wie können wir präventiv gegensteuern? Die datengetriebene Medizin verspricht eine Revolution in der Patientenversorgung, indem sie maßgeschneiderte Therapien und effizientere Prozesse ermöglicht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Dr. M. Dahlweid: Eines der wichtigsten Anwendungsfelder ist die Präzisionsmedizin. Hier geht es um personalisierte Therapieansätze, die sich an den individuellen biologischen Merkmalen eines einzelnen Patienten orientieren.

Nehmen wir die Krebsbehandlung: Prostatakrebs ist keine singuläre Krankheit, sondern mittlerweile sind sieben bis acht verschiedene Subtypen identifiziert. Um den besten Therapieansatz zu bestimmen, müssen wir molekulargenetische Analysen mit phänotypischen Daten aus Krankenhaus-Informationssystemen verknüpfen. Zusätzlich kommen Bildgebungsdaten aus MRT oder CT hinzu. Erst diese umfassende Betrachtung erlaubt es, den PSA-Wert als einen sich dynamisch verändernden Indikator zu interpretieren. Das ermöglicht genauere Diagnosen und individuell optimierte Behandlungen.

 

Können Sie ein weiteres Beispiel nennen?

Dr. M. Dahlweid: Ein weiteres Beispiel ist die medizinische Bildgebung. Eine einzelne MRT-Aufnahme enthält bis zu hundertmall mehr Rohdaten als in der finalen Bilddarstellung sichtbar sind. Bisher mussten Kontrastmittel eingesetzt werden, um Strukturen besser erkennbar zu machen. Dank KI-gestützter Datenanalyse können wir die Originaldaten so verarbeiten, dass wir in 70 Prozent der Fälle auf Kontrastmittel verzichten können – ohne Einbußen in der diagnostischen Qualität.

 

Wo liegen die Herausforderungen beim Einsatz von Big Data?

Dr. M. Dahlweid: Zum einen müssen wir Datenschutz und Datennutzung in Einklang bringen. Technologisch betrachtet ist die Interoperabilität der Systeme ein großes Thema. Daten sind oft in Silos gespeichert und müssen in einer standardisierten Form zusammengeführt werden, um sie nutzbar zu machen.

 

Warum ist Big Data in Deutschland noch nicht weiter?

Dr. M. Dahlweid: Deutschland hat strengere Datenschutzauflagen als andere Länder. Hoffnung macht mir die neue Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider. Sie ist bekannt für ihre progressive Haltung zur Datennutzung. Ich bin davon überzeugt, dass sie einen Paradigmenwechsel herbeiführen wird, der uns hilft, Big Data im Gesundheitswesen zu forcieren.

 

Welche Rolle spielt Big Data heute schon im deutschen Gesundheitswesen?

Dr. M. Dahlweid: Private Einrichtungen erkennen den Nutzen und setzen auf datengetriebene Prozesse, etwa in Hochleistungsdurchsatzlaboren, die Millionen von Patientenproben täglich analysieren müssen.

Die Corona-Pandemie war ein Katalysator für datenbasierte Entscheidungen. Big Data kommt bereits in der klinischen Forschung, in der Optimierung von Behandlungspfaden und im Krankenhausmanagement zum Einsatz. Die Echtzeitanalyse von Prozessdaten ermöglicht beispielsweise ein proaktives Ressourcenmanagement und steigert die Effizienz.

 

Welchen Nutzen haben Gesundheitseinrichtungen konkret von Big Data?

Dr. M. Dahlweid: In den kommenden Jahren werden wir rund 30 Prozent des medizinischen Personals durch Pensionierungen verlieren. Big Data kann helfen, diesen Mangel auszugleichen – durch optimierte Workflows und Automatisierung.

Beispielsweise könnte eine intelligente Prozesssteuerung Pflegekräften priorisierte Aufgabenlisten bereitstellen. Auch die Dokumentation kann weitgehend automatisiert werden, sodass medizinisches Personal mehr Zeit für die Patienten hat.

 

Wo könnte Big Data noch ins Spiel kommen?

Dr. M. Dahlweid: Ein Beispiel ist die Einsatzplanung in Krankenhäusern. Wenn wir historische Daten zu Patientenströmen analysieren, können wir prädiktive Modelle erstellen. Ein Krankenhaus in Madrid nutzt Big Data bereits im OP-Management und bei der Personaleinsatzplanung. Dort wird seit 15 Jahren analysiert, welche Operationen durchgeführt wurden, welche Teams beteiligt waren und welche Anästhesiemethoden verwendet wurden. Daraus ergeben sich präzise Vorhersagen, wie lange eine bestimmte OP mit einem bestimmten Team dauern wird. Das ermöglicht eine hochflexible Planung und eine optimierte Ressourcennutzung.

Ein weiteres Beispiel: Das Krankenhaus liegt in der Nähe des Stadions von Real Madrid. Die Veranstwortlichen wissen, dass nach jedem Heimspiel die Notaufnahme mit verletzten Fußballfans überlastet ist. Durch datenbasierte Einsatzplanung können sie ihr Personal flexibel anpassen und so Engpässe vermeiden.

 

Was müssen Gesundheitseinrichtungen bereitstellen, um Big Data nutzen zu können?

Dr. M. Dahlweid: Technologie allein reicht nicht aus. Gesundheitseinrichtungen müssen eine datengetriebene Kultur etablieren. Das beginnt mit Change-Management und der Entscheidung für eine Big-Data-Strategie. Erst dann folgen die Investition in Technologien und die Schulung der Mitarbeiter. Datengetriebene Entscheidungen müssen zur Selbstverständlichkeit werden.

 

Bitte werfen Sie einen Blick in die Zukunft von Big Data.

Dr. M. Dahlweid: Die regulatorischen Rahmenbedingungen für Big Data im Gesundheitswesen werden sich weiterentwickeln. Zukünftig müssen wir aufhören, isoliert in einzelnen Krankenhäusern zu denken. Stattdessen brauchen wir Clinical-Data-Repositories als zentrale Datentöpfe, auf denen Big-Data-Modelle aufsetzen können. Nur so lassen sich aussagekräftige Erkenntnisse gewinnen, die über eine einzelne Einrichtung hinausgehen.

Die Zukunft des Gesundheitswesens wird maßgeblich durch die intelligente Nutzung von Daten geprägt sein. Es geht nicht nur um Effizienzsteigerung, sondern um bessere Behandlungsergebnisse für die Patienten. Wir als Technologieanbieter sehen unsere Aufgabe darin, Kliniken mit robusten, praxiserprobten Lösungen zu unterstützen. Nur wenn wir datengetrieben arbeiten, können wir die Medizin der Zukunft gestalten.

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Doktor Dahlweid.

 

Interview: Ralf Buchholz

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