(Künstliche) Intelligenz zähmen

Interview mit Prof. Dr. Christian Herold, Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien

Die Radiologie ist ein klassisches Querschnittsfach zwischen verschiedenen Abteilungen sowie die Nahtstelle von Diagnose und Therapie. Wie die Disziplin die aufziehenden Herausforderungen mit neuen Technologien bewältigen und auch ihren Fortbestand sichern kann, besprechen wir mit Prof. Dr. Christian Herold, Leiter der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien – Universitätsklinikum.

Wo liegen die größten Herausforderungen für die Radiologie, Professor Herold?

Prof. Dr. Christian Herold: Da die Bildgebung immer wichtiger für die Diagnostik wird, müssen wir die Lücke zwischen den Anforderungen und dem, was wir leisten können, irgendwie schließen. Dafür haben wir Unterstützung, beispielsweise IT-Systeme. Wir müssen im Workflow schneller werden. Das geht nur mit reibungslosen Prozessen, und an denen müssen wir stetig feilen. Hinzu kommt eine steigende Zahl von Fallkonferenzen und Konsultationen durch klinische Kollegen. Auch das wird unsere Zukunft prägen.

 

Wie kann IT die Radiologen bei der fachübergreifenden Kommunikation unterstützen? 

Prof. C. Herold: Da ist das Bilddatenmanagement entscheidend, das PACS. Das dient als Kommunikationstool für die gesamte Gesundheitseinrichtung. Wichtig ist, dass alle Partner in einem diagnostisch-therapeutischen Prozess die gleichen Informationen haben. Für uns wird es essenziell sein, Bildinhalte nicht nur schriftlich semantisch zu kommunizieren, sondern die Bilder selbst als Teil unserer Kommunikation einzusetzen. Idealerweise können wir Bildinhalte per Drag-and-Drop in den Befund integriert und damit als „sprechende Aufnahmen“ teilen.

Wie definieren Sie Ihre Rolle als Leiter der Universitätsklinik für Radiologie und als Radiologe? 

Prof. C. Herold: Ich bin erster Diener der Klinik und nehme mich aller Aufgaben an, die anfallen. Wir haben eine sehr flache Hierarchie und in dieser flachen Hierarchie haben alle gewisse Aufgaben; wir funktionieren als Team. Und da arbeite ich als Teammitglied mit. Zum anderen bin ich Vertreter der Klinik nach außen. Nicht zuletzt nehme ich für mich in Anspruch, als Stratege und Visionär die Klinik zu gestalten. 

 

Wie muss ich mir das vorstellen, Professor Herold?

Prof. C. Herold: Als ich 2008 die Position als Klinikvorstand übernommen habe, habe ich mir das Ziel gesetzt, die Klinik innerhalb von zehn bis 15 Jahren unter die Top-Kliniken der Welt zu bringen. Das ist uns allen durch sehr viel Arbeit und Engagement sowie die Umsetzung einer klaren Strategie tatsächlich gelungen. Das letzte Ranking des U.S. News&World Reports führt uns weltweit an 24. Stelle unter den Radiologien.

 

Wie haben Sie das geschafft?

Prof. C. Herold: Durch eine modern aufgestellte Medizintechnik und IT, durch wissenschaftliche Arbeit am Puls der Zeit und eine klinische Arbeit, bei der die Patienten das Gefühl haben, von äußerst kompetenten Radiologen extrem gut betreut zu werden. 

 

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Versorgung, Lehre und Forschung? 

Prof. C. Herold: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zu über 90 Prozent ihrer Zeit im Klinikbetrieb tätig, Wissenschaft und Lehre finden überwiegend am Wochenende statt. Um hier für einen Ausgleich zu sorgen, beschäftigen wir gegenwärtig allein 70 nicht-klinische Forscher.

Was muss denn ein Algorithmus bieten, damit er die Radiologen in ihrer täglichen Arbeit unterstützt?

Prof. C. Herold: Zuerst einmal muss er verlässlich und reproduzierbar sein. Erst wenn wir wissen, wie ein Algorithmus rechnet, können wir die Ergebnisse gewichten und korrekt in die Diagnose und Therapie einbeziehen. Ein anderes Problem ist aber, dass sich keine Institution eine hohe Zahl verschiedener Algorithmen leisten wird – weder als Einzelprodukte noch auf einer Plattform. Sie müssten vielmehr bereits in den Softwarepaketen der Medizintechnik- und IT-Anbieter integriert sein, um eine weitere Verbreitung zu finden. Aber auch das wird erst geschehen können, wenn die Algorithmen transparent und verlässlich sind.

 

Teilen Sie die Befürchtung einiger Ihrer Kollegen, dass KI irgendwann den Radiologen ersetzt?

Prof. C. Herold: Nein, ich würde es vielmehr andersherum argumentieren. Ohne KI steht uns eine schwierige Zukunft bevor. Die Zahl der Radiologen wird weltweit nicht mehr, aber das Leistungsspektrum, das von uns erwartet wird, wird immer breiter, und die Daten immer umfangreicher. Da bleibt uns gar nichts anderes übrig, als gewisse Funktionen und Aufgaben auszulagern an – und ich möchte es nochmals betonen – verlässliche, reproduzierbare Algorithmen. Aber wir müssen sie domestizieren, sie genau anschauen und bewerten, wo sie uns effizient unterstützen können. Im Miteinander liegt die Zukunft, davon bin ich überzeugt. Und je länger sich skeptische Kolleginnen und Kollegen mit den Möglichkeiten der KI beschäftigen, desto eher werden auch sie die Chancen erkennen.

Eine andere Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Befundung? Das ist schließlich Brot-und-Butter-Geschäft der Radiologie.

Prof. C. Herold: Korrekt. Aber auch hier zeigt sich, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Ich sehe die Befundung ganz klar IT-gestützt, idealerweise mit Spracherkennung. Die Art der Befundung – ob frei, geführt oder strukturiert – ist Geschmacksache, da muss jede Institution für sich den optimalen Weg finden. Wir arbeiten in einem Mischsystem, weil die individuelle Komponente gerade bei hochvermögenden Radiologen und Klinikern immer noch eine große Rolle spielt. Zudem sprechen wir dabei von einer Kulturänderung – und die lässt sich nicht von heute auf morgen vollziehen, die braucht ihre Zeit.

Grundsätzlich sind wir als Institution auf dem Weg zur strukturierten Befundung. Vorteile, die wir sehen, sind die Vollständigkeit und Klarheit der Befunde. Schließlich sollen unsere klinischen Partner genau verstehen, was im Report ausgesagt ist. Es gibt eine Untersuchung vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, die besagt, dass die Inhalte eines unstrukturierten und individuell verfassten Befundes von Kliniken sehr unterschiedlich verstanden wurden. Diese Gefahr müssen wir ausschließen. Wir müssen vielmehr sicherstellen, dass die Befundung so abläuft und kommuniziert wird, dass sie eindeutig ist und alle verstehen, was gemeint ist. Maßgaben sind dabei genaue Messungen und Quantifizierung – prädestiniert im Übrigen für den Einsatz von KI-Lösungen –, eine gesamthafte Darstellung mit Checklisten, die sicherstellen, dass auch nichts übersehen wird, und eine Interpretation, die den klinischen Kollegen klare Empfehlungen für die weitere Therapie an die Hand gibt.

 

Was erwarten Sie sich in diesem Kontext von IT- und Medizintechnikanbietern?

Prof. C. Herold: Mehr Gemeinsamkeit, eine stärkere Integration von Medizintechnik und IT. Keines dieser beiden großen Gebiete kann isoliert arbeiten und wirksam sein. Ich wünsche mir beispielsweise, dass innovative IT-Pakete in Standardsoftware von Medizintechnikgeräten integriert sind. Hierbei denke ich vorrangig an kleine Tools und Spezialapplikationen.

Wenn ich an den täglichen Einsatz denke, ist natürlich eine intuitive Bedienbarkeit Grundvoraussetzung für die Akzeptanz bei den Anwendern. Ohne sie wird das nicht genutzt. 

Dieser Text deckt nur eine Anzahl von Fragen und Antworten ab. Lesen Sie unser gesamtes Interview als Download.

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