Erfolg durch Initiative
Interview mit Prof. Dr. Rainer Salfeld, Geschäftsführer der Artemed SE
Die Artemed SE wurde am 1. Januar 2008 aus dem Zusammenschluss von drei vormals eigenständigen Fachkliniken gegründet. Heute betreibt der Träger deutschlandweit 18 Einrichtungen. Hinzu kommen zwei Krankenhäuser in China. Prof. Dr. Rainer Salfeld ist seit Gründung Mitglied des geschäftsführenden Direktoriums. Der Jurist und Betriebswirt kam von einer großen Unternehmensberatung und verantwortet die Ressorts Finanzen, IT, Bau und Mergers & Acquisitions. Zusätzlich kümmert er sich um die Artemed Stiftung, die ein Krankenhaus in Tansania, die River Doctors in Myanmar sowie die Street Doctors in Bolivien unterstützt. Mit uns sprach er über die Nöte von Krankenhäusern in Deutschland und mögliche Wege aus der Misere.
Professor Salfeld, wie steht es um die Krankenhäuser in Deutschland?
Prof. Dr. Rainer Salfeld: Die Situation ist gegenwärtig kritisch. Der Hauptgrund liegt in einem staatlich festgelegten, gedeckelten Leistungsentgelt, das über Jahre hinweg unterhalb der Kosten lag. In diesem Jahr beispielsweise wurde dieses Entgelt um 5,18 Prozent angehoben, allein die Tarifsteigerungen lagen jedoch teilweise bei bis zu 11,5 Prozent. Das kann nicht funktionieren. Gleichzeitig benötigen wir mehr Mitarbeiter, um die Pflegepersonaluntergrenzen zu halten. Wenn ich Pflegekräfte einstellen muss, mit dem „Preis“ meiner Dienstleistungen aber nicht hochgehen kann, führt das auf Zeit zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Deshalb beobachten wir auch gerade ein ungeregeltes Krankenhaussterben.
Was ist die Folge?
Prof. R. Salfeld: Geht es so weiter, führt das meines Erachtens mittelfristig zu einem bifokalen System, ähnlich dem National Health Service in Großbritannien. Dort werden die verfügbaren Mittel auf die Kreise verteilt, die dann wiederum dafür verantwortlich sind, eine angemessene medizinische Versorgung sicherzustellen. Im Ergebnis sehen wir lange Wartezeiten und eine suboptimale Versorgung. Wer es sich leisten kann, lässt sich auf eigene Kosten schnell und qualifiziert auch gerne im Ausland versorgen.
Was können wir tun, damit es in Deutschland nicht so weit kommt?
Prof. R. Salfeld: Gegenwärtig soll das System wirtschaftlicher werden, indem die Zahl der Krankenhäuser sinkt. Das heißt, dass die Patienten, die ja nicht weniger werden, sich anderswo in Behandlung begeben müssen. Diese Einrichtungen müssen aber auch entsprechend ausgestattet sein. Mittel- bis langfristig bedürfen wir also eines besser strukturierten Systems. Bis dahin gibt es zwei Möglichkeiten: Rationierung, also die Streichung bestimmter Leistungen aus dem Vergütungskatalog, oder mehr Geld für das bestehende Gesundheitssystem.
Von welchen Faktoren hängt ab, ob ein Krankenhaus erfolgreich arbeiten kann?
Prof. R. Salfeld: Ein Krankenhaus besteht aus drei Komponenten, die von den Verantwortlichen beeinflusst werden können: der Infrastruktur, den Mitarbeitern und den Prozessen. Die Infrastruktur muss sich an die geänderten Bedingungen anpassen. Bei kürzerer Liegezeit braucht ein Haus weniger Betten, dafür aber vielleicht mehr Operationssäle und Funktionsräume. Dazu werden die passenden Mitarbeiter und Fähigkeiten zum klinischen Leistungsspektrum benötigt. Die Anpassung der Prozesse ist am schwierigsten, aber am erfolgversprechendsten. Die Personalproduktivität beispielsweise hängt sehr stark davon ab, dass das Personal stets im Sinne der bestmöglichen medizinischen Therapie und Diagnostik arbeitet. Das wiederum ist nur im Rahmen optimaler Prozesse möglich.
Wo liegen denn Wirtschaftsreserven im System?
Prof. R. Salfeld: Zuvorderst bei der Versorgung in der Fläche. Es ist nicht sinnvoll, jedes Krankenhaus zu erhalten, auch wenn es lokalpolitisch gewollt ist. Es gibt nicht ausreichend Patienten, und mit den fehlenden Fallzahlen können junge, ambitionierte Ärzte keine Expertise aufbauen. Kleine, aber breit aufgestellte Krankenhäuser haben somit einen schlechten Zugang zu guten Ärzten und damit entsprechende wirtschaftliche Probleme. Gegenwärtig werden diese Häuser mit öffentlichen Geldern künstlich am Leben erhalten, obwohl sie hohe Verluste machen – das ist nicht vernünftig. Die Politik sollte überlegen, ob nicht beispielsweise mobile Krankenhäuser die bessere Alternative sind.
Ein weiterer Weg wäre ein regional abgestimmtes Leistungsangebot in mehreren Kliniken. Das erfordert einen Umbau der Strukturen im Einvernehmen mit allen Leistungserbringern, und das ist schwierig. Ein Beispiel für das Gelingen liefert Dänemark: Dort hat der Staat landesweit 18 neue „Superkrankenhäuser“ gebaut und alte, kleinere geschlossen. So ein Strukturwandel erfordert natürlich große Investitionen und einen zentralen Plan – das ist zumindest einfacher in einem Land wie Dänemark, das über ein komplett steuerfinanziertes Gesundheitssystem verfügt. Der deutsche Transformationsfonds, der Krankenhäuser bei Umstrukturierungen im Zuge der Krankenhausreform unterstützen soll, ist ein guter Ansatz. Bis der allerdings umgesetzt ist und neue, große Krankenhäuser gebaut sind, vergehen viele Jahre.
Was halten Sie grundsätzlich von den Initiativen des Gesundheitsministers Professor Lauterbach?
Prof. R. Salfeld: Relativ wenig, weil sie das eigentliche Problem nicht adressieren. Kliniken bekommen jedes Jahr weniger Geld für ihre Leistungen, büßen Marge ein und rutschen in die Insolvenz. Dieser Prozess geschieht ungesteuert. Statt hier anzusetzen, möchte Professor Lauterbach das Finanzierungssystem ändern, das meines Erachtens aber keine Schuld an der wirtschaftlichen Misere trägt. Der Grund sind, wie eingangs bereits erwähnt, vielmehr die explodierenden Kosten ohne eine gleichzeitige Anpassung des Leistungsentgelts. Meine Idee wäre, für eine begrenzte Zeit einen pauschalen Sonderbonus auszuschütten, den die Kliniken danach zurückzahlen. Das würde uns über die schwierige Zeit bringen. Wir müssen ja auch bedenken, dass Innovation nicht auf der Strecke bleiben darf – unter einem anhaltenden Finanzdruck, wie wir ihn derzeit erleben, wäre dies jedoch sicher vielerorts der Fall.