Interview mit Winfried Post
in der Online-Ausgabe des Handelsblatts
Deutschlands Krankenhäuser investieren kräftig in die Digitalisierung – auch wenn einige von ihnen die anstehende Krankenhausreform nicht überleben werden. Wie sich sein Unternehmen darauf einstellt, schildert Dedalus-Geschäftsführer Winfried Post im Interview.
Berlin. Vor vier Jahren hat das italienische IT-Unternehmen Dedalus die KIS-Sparte von Agfa HealthCare übernommen. KIS steht für Krankenhausinformationssystem, das ist eine Software, mit der Krankenhäuser Patientendaten, Behandlungen, Abrechnungen und Verwaltungsprozesse digital organisieren.
Dedalus stieg damit zum Marktführer in Deutschland auf. „Ich gehe davon aus, dass 42 Prozent aller stationären Fälle in Deutschland durch eines unserer ORBIS-Systeme laufen“, sagt Winfried Post, General Manager und Vorsitzender der Dedalus-Geschäftsführung für das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Mit einem starken Wachstum von 17 Prozent allein im vergangenen Jahr sind mittlerweile 820 Krankenhäuser mit dem ORBIS-KIS ausgestattet. Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) habe der Digitalisierung einen großen Schub verliehen, „ein Glücksfall für uns und alle Health-IT-Hersteller“, so Post.
Es überlagere selbst die Krankenhausreform, die der Bundestag vergangene Woche verabschiedet hat – und die nicht alle Krankenhäuser überleben werden.
Deshalb setzt Dedalus auch auf Produkte für den ambulanten Bereich. KI-gestützte Lösungen würden ebenfalls gut nachgefragt, etwa sogenannte klinische Entscheidungsunterstützungssysteme, die das Sepsisrisiko oder die Wahrscheinlichkeit eines Nierenversagens voraussagen können. Alles in allem laufe die Digitalisierung in den Krankenhäusern besser als oft wahrgenommen. Winfried Post spricht gar von einem „goldenen Jahrzehnt“.
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Vor vier Jahren hat Dedalus für satte 975 Millionen Euro die Health IT-Sparte von Agfa HealthCare in der DACH-Region, Frankreich und Brasilien übernommen. Hat sich das Geschäft gelohnt?
Winfried Post: Auf jeden Fall. Seit 2020 hat sich unser Umsatz in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) mehr als verdoppelt und wird in diesem Jahr bei ungefähr 410 Millionen Euro liegen. Allein im vergangenen Jahr sind wir in den Umsatzerlösen in der DACH-Region um 17 Prozent gewachsen, in diesem Jahr wird das Wachstum bei circa zwölf Prozent liegen.
Wir gewinnen jedes Jahr zehn bis 20 neue Krankenhäuser für unser State-of-the-art-Krankenhausinformationssystem ORBIS dazu. Aktuell ist unser ORBIS-KIS in 820 Krankenhäusern im DACH-Raum installiert. Wir gehen davon, dass 42 Prozent aller stationären Fälle in Deutschland – 2023 waren das 17,2 Millionen – durch unsere ORBIS-Systeme prozessiert werden.
Liegt das am Krankenhauszukunftsgesetz oder daran, dass SAP die Software zur Patientenverwaltung und -abrechnung ISH abgekündigt hat und auch Oracle Cerner sein KIS ISH-Med einstellt?
Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) war ein Glücksfall für uns. Und nicht nur für uns, sondern für alle Health-IT-Hersteller – auch wenn man bedenken muss, dass von der Fördersumme in Höhe von 4,3 Milliarden Euro nur etwa ein Viertel bei den Software-Herstellern ankommt. Der große Rest fließt in erster Linie in die ITPersonalausstattung der Krankenhäuser und in teure Unternehmensberatungen.
Die große Auftragswelle infolge der ISH- und IS-H-Med-Abkündigung ist nicht wie erwartet eingetreten, da SAP die Wartung bis mindestens Ende 2030 aufrechterhält – wenn auch ab 2027 zu immer teureren Konditionen. Aber dadurch entspannt sich die Situation bezüglich der Ausschreibungsdichte etwas. Und das ist auch gut so. Es gibt nicht viele KIS-Hersteller in Deutschland. Es wäre kaum möglich, alle Krankenhäuser, die ihre Abrechnungssysteme oder/und ihre KIS-Systeme auswechseln müssen, auf einen Schlag neu auszustatten – es betrifft über 500.
Können Sie eine IS-H-Alternative bieten?
Aber ja. Wir haben schon vor Jahren eine vollumfängliche ambulante sowie stationäre Abrechnungssoftware für Deutschland entwickelt, welche bereits in mehr als 700 ORBIS-Krankenhäusern im Einsatz ist.
Wie blicken Sie auf die Krankenhausreform?
Ich rechne mit großen Auswirkungen. Viele kleinere Krankenhäuser werden nicht überleben. Das betrifft uns direkt, da unser KIS auch in vielen kleineren Kliniken installiert ist. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Krankenhausbetten von derzeit 490.000 auf höchstens 350.000 sinken wird.
Vor diesem Hintergrund würde man erwarten, dass sich die Krankenhäuser bei Investitionen stärker zurückhalten.
Ohne das KHZG wäre das sicherlich so gekommen. Aber das KHZG hat diesen Effekt ausgebügelt. Überraschenderweise schreiben die Krankenhäuser immer noch sehr viele Digitalisierungsvorhaben aus, darunter noch einige Fördertatbestände des KHZG wie Patientenportale oder sogar vollständige KIS-Systeme. Ich hätte damit gerechnet, dass das in diesem Jahr abflaut, aber das Gegenteil ist der Fall.
Trotzdem müssen wir uns auf die Schließungen einstellen. Für uns bedeutet das konkret, dass wir an unser Preismodell adaptieren müssen: Derzeit orientiert sich der Preis für unser KIS oftmals an der Anzahl der Betten eines Hauses. Das werden wir so nicht aufrechterhalten können. Vor allem aber müssen wir unseren Klinikkunden leistungsfähige Werkzeuge für die zunehmende Ambulantisierung anbieten.
Was heißt das?
Dass wir unser Produkt-Portfolio im Hinblick auf zunehmende ambulante Versorgung erweitern müssen. Damit haben wir bereits begonnen. Seit 2022 bieten wir unser innovatives Entlassmanagement-Portal Care-Bridge an, 2023 haben wir unser Patientenportal ORBIS Patient XCare Suite eingeführt. Alle Stationen einer „Patient Journey“ werden durch ORBIS und unsere Portale abgedeckt – von der Krankenhausanmeldung über den ambulanten oder stationären Aufenthalt bis hin zur Entlassung und nachstationären Versorgung.
Wo liegt der Schwerpunkt von Dedalus?
Ganz klar bei den KIS-Systemen. Unser zweitstärkstes Standbein ist die Diagnostik-IT: Mit unseren Radiologieinformationssystemen (RIS) arbeitet jede zweite Krankenhaus-Radiologie in Deutschland. Diese Software-Applikationen unterstützen dabei, Arbeitsabläufe zu organisieren, von der Terminplanung über die Dokumentation bis hin zur Abrechnung und Bildarchivierung. Daneben sind wir auch noch Marktführer im Bereich Kardiologie-IT.
Auch im Bereich der Labordiagnostik und bei Business-Intelligence-Systemen sind wir marktführend. 2021 haben wir den Medikationsspezialisten Dosing übernommen und können deshalb hochmoderne Software-Lösungen für die Arzneimitteltherapiesicherheit anbieten. Außerdem entwickeln wir zunehmend Produkte, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, sowohl im Bereich der Spracherkennung als auch für die klinische Entscheidungsunterstützung.
Wir haben zum Beispiel KI-Module für Anwendungsfälle entwickelt, die das Risiko einer Sepsis eines Patienten oder die Wahrscheinlichkeit eines Nierenversagens vorhersagen können. Diese können nahtlos als Clinical Decision Support System in das ORBIS KIS integriert werden, stehen aber auch als Stand-alone-Lösung zur Verfügung.
Apropos KI: Ist Dedalus cloud-ready?
Unser Patientenportal und Care-Bridge sind bereits cloudbasiert. Auch unser webbasiertes ORBIS U KIS könnte auf der Cloud laufen. Wir suchen derzeit mehrere Pilotkunden, die „Cloud“ mit uns umsetzen wollen. Aber das ist nicht trivial, und wir müssen ORBIS zukünftig noch stärker auf „native cloud readiness“ ausrichten.
Und wie steht es in digitaler Hinsicht um die Krankenhäuser?
Besser, als es den Anschein hat, wenn man die Debatte verfolgt. Wir sehen eine neue Generation von IT-Chefs, die Innovationen verpflichtet und höchst motiviert sind. Alles steht und fällt natürlich mit der Geschäftsführung: Das Klinik-Management muss mitspielen und Digitalisierung wirklich ernst meinen. Meistens ist das der Fall.
Alles in allem erleben wir in Deutschland gerade die beste Zeit für Health-IT Unternehmen, die es je gab. Wir stehen am Beginn eines goldenen Jahrzehnts.
Lesen Sie das Interview in der Online-Ausgabe des Handelsblatts
(Jana Ehrhardt-Joswig, Britta Rybicki 21.10.2024 – 07:56 Uhr)