Medizincontrolling im Wandel
Entwicklung von der Kodierung zur strategischen Transformationsbegleitung
Das Medizincontrolling unterliegt von Beginn an einem ständigen Wandel. Während es früher primär darum ging, Erlöse zu optimieren, zeigt sich heute ein deutlich erweitertes Rollenverständnis: Es geht nicht mehr nur darum, Erlöse zu steigern, sondern darum, gezielt medizinische Leistungen in klaren Prozessen sachgerecht abzubilden und Datenstrukturen zu sichern. Die Aufgabe des Medizincontrollings umfasst nicht mehr ausschließlich, die im Krankenhaus erbrachten Leistungen korrekt, vollständig und nachvollziehbar abzurechnen. Vielmehr sind in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen und der Verwaltung die Sicherstellung einer strukturierten Aufnahme- und Entlassplanung, einer lückenlosen Dokumentation und ein sachgerechter Ressourceneinsatz in den Aufgabenfokus gerückt.

Patientenorientierung trifft Wirtschaftlichkeit
Effiziente Prozesse nützen nicht nur der Klinik, sondern auch den Patienten. Eine gut strukturierte Aufnahme- und Entlassplanung, die im besten Fall zu verkürzten Liegezeiten führt, steigert die Zufriedenheit und verbessert die Versorgungskette. Die Kommunikation mit den Fachabteilungen, das Aufarbeiten von beim MD strittigen Sachverhalten und die regelmäßige Datenanalyse sind wichtiger gewordene Werkzeuge, um dieses Ziel zu erreichen. Es geht nicht nur um die vollständige Abrechnung, sondern darum, den Patienten sinnvoll und sicher durch das Haus zu begleiten – medizinisch, administrativ und wirtschaftlich. Dabei ist es elementar, alle wesentlichen Daten jederzeit und ohne lästige Doppelerfassung verfügbar zu haben, um den bestmöglichen Abrechnungsweg zu identifizieren und den passenden Behandlungspfad einzuleiten.
Dokumentation ist nicht mehr allein der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg
Die Dokumentationskette nimmt weiterhin eine zentrale Stellung im modernen Medizincontrolling ein. Für eine rechtssichere und abrechnungsrelevante Dokumentation sind drei Elemente essenziell: Befund – Bewertung – Anordnung. Diese Trias bildet nicht nur die Grundlage für die Abrechnung, sondern auch für die Abwehr von Regressforderungen und die Nachvollziehbarkeit der medizinischen Behandlung.
Die Dokumentation muss deshalb einfach, strukturiert und durchgängig sein. Moderne Kodiersysteme sollten Fachkräfte dabei unterstützen, medizinisch relevante Informationen direkt dort zu erfassen, wo sie entstehen. Die ärztliche Bewertung eines Befundes, pflegerische Maßnahmen oder labordiagnostische Auffälligkeiten müssen digital nachvollziehbar und systematisch auffindbar sein – nicht nur für die Kodierfachkräfte, sondern für alle Beteiligten entlang der Behandlungskette.
Die Digitalisierung medizinischer Informationen und Anordnungen sollte dabei so gestaltet werden, dass sowohl das Behandlungsteam am Patientenbett als auch die Mitarbeiter in der Abrechnung digital auf relevante Daten zugreifen können. Das umfasst pathologische Laborwerte, Anordnungen und andere behandlungsrelevante Informationen. Eine vereinfachte Arztbriefschreibung, bei der die Briefe idealerweise bereits bei der Entlassung fertiggestellt sind, unterstützt zusätzlich sowohl die medizinische Versorgung als auch die Abrechnungsprozesse.
Eine zusätzliche Herausforderung stellt zudem die durch den Fachkräftemangel begünstigte sprachliche Barriere dar. Nicht muttersprachlichen Mitarbeitenden fällt das korrekte Dokumentieren teilweise schwer, da sie die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen. IT-Systeme können hier unterstützen, beispielsweise durch sprachbasierte Instrumente wie die automatische Aufzeichnung und Auswertung von Patientengesprächen, um die Dokumentation zu stärken und die erbrachten Leistungen entsprechend zu vergüten.
Eine automatisierte Kodierung mag ein Hilfsmittel sein, ist jedoch kein Allheilmittel. Erst wenn die zugrundeliegende Dokumentation vollständig und qualitativ hochwertig ist, kann eine Automation die Arbeit der Kodierfachkräfte sinnvoll ergänzen.

Datenqualität als strategischer Erfolgsfaktor
Verlässliche und vollständige Daten bilden die Grundlage für Abrechnung, Steuerung und Erlössicherung. Deshalb braucht es Systeme, die nicht nur Informationen sammeln, sondern auch sinnvoll strukturieren und verfügbar machen. Holistische Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) können dabei als Enabler fungieren. Allerdings birgt die Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter auch Risiken. Offene und standardisierte Schnittstellen wären die Lösung, um Flexibilität und Herstellerunabhängigkeit zu gewährleisten – wobei das eine das andere nicht ausschließen muss. Andererseits bieten geschlossene Systeme oft den besseren Schutz vor Cyberangriffen – ein Aspekt, der in Zeiten zunehmender IT-Sicherheitsbedrohungen nicht vernachlässigt werden darf. Je geschlossener ein System ist, desto höher die Sicherheit. Die darf jedoch nicht zulasten von Flexibilität oder Interoperabilität gehen. Kliniken müssen hier einen Mittelweg finden und auch eigene Mitarbeitende in der Cybersicherheit schulen.
Medizincontrolling als Steuerungsinstrument
Die strategische Beratung der Geschäftsführung ist inzwischen zum Kerngeschäft des Medizincontrollers geworden und damit bildet er eine immer wichtiger werdende Schnittstelle zwischen Medizin, Administration und Strategie. Das Medizincontrolling auszugliedern, wie es zeitweilig von einzelnen gefordert wird, erscheint unter diesen Aspekten daher wenig sinnvoll.
Auch mit Blick auf die Umsetzung des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) und die damit verbundene Umstellung der Krankenhausplanung gewinnen die Aufgaben des Medizincontrollings und künftigen Ausrichtungen der Kliniken an Bedeutung. Die erweiterten Qualitätsanforderungen, etwa Mindestmengen, erfordern von vielen Häusern eine grundlegende strategische Neuausrichtung. Hier liefert das Medizincontrolling entscheidende Impulse, etwa bei der Entscheidung, ob Leistungen ausgelagert, neu aufgebaut oder fokussiert werden sollen.
Ambulantisierung – Chance und Herausforderung
Die Forderung aus der Politik, aber auch von Patienten, nach einer weiter zunehmenden Ambulantisierung erfordert in vielen Kliniken eine Reform etablierter Strukturen und Prozesse. Die strukturellen Voraussetzungen, um ambulante Leistungen wirtschaftlich und qualitativ hochwertig zu erbringen, fehlen häufig. Zwar werden viele Patienten schon formal ambulant geführt, tatsächlich entspricht der Ressourcenverbrauch jedoch einem stationären Aufenthalt – mit entsprechenden finanziellen Einbußen.
Zudem gilt es, neben der Erfüllung der bürokratischen Vorgaben die klinischen Behandlungspfade künftig so zu gestalten, dass Ressourcen sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden, um primär die patientenzentrierte erfolgreiche medizinische Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig den wirtschaftlichen Erfolg nicht zu gefährden. Es wird besonders wichtig sein, den Fokus auf die korrekte Auswahl des passenden Behandlungspfades von Anfang an sicherzustellen, um am Ende leistungsgerecht abrechnen zu können. Fallmanager und ärztliches Personal müssen eng eingebunden sein, damit die Weichen schon beim Erstkontakt im Krankenhaus richtig gestellt werden.
Flexibilität und Agilität als Grundprinzipien
Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell sich Rahmenbedingungen ändern können – sei es durch eine Pandemie, politische Entscheidungen oder wirtschaftliche Krisen. Für das Medizincontrolling heißt das: agil bleiben, Veränderungen antizipieren, strategisch denken. Dabei hilft ein Blick aus der Vogelperspektive auf das Krankenhausgeschehen, um alle Aspekte im Blick zu behalten, Engpässe und Redundanzen frühzeitig zu erkennen und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu nutzen. Nur durch diese ganzheitliche Betrachtung kann es seinen interdisziplinären Auftrag erfüllen und das Krankenhaus optimal im Wandel unterstützen.
Zwischen Unsicherheit und Umbruch
Die anstehenden strukturellen Änderungen im deutschen Gesundheitswesen, insbesondere die ständigen Veränderungen des Abrechnungssystems, die weiterhin bestehende unzureichende Erstattung der Investitionskosten und die oft nicht rechtzeitig verfügbare nachstationäre Anschlussbehandlung, führen zu Unsicherheit in Krankenhäusern und damit im Medizincontrolling.
Es fehlt an verbindlichen Rahmenbedingungen und damit an Rechtssicherheit – sowohl für Kliniken als auch für Softwareanbieter.
Eine verlässliche Budgetplanung ist dabei kaum noch möglich und das finanzielle Ausfallrisiko kaum planbar.
Bei der kommenden Zentralisierung und Spezialisierung der Krankenhauslandschaft in Deutschland kann ein gut aufgestelltes Medizincontrolling somit wichtige strategische Impulse liefern und im Transformationsprozess unterstützen.
Medizincontrolling als Schlüssel zur gesicherten Zukunft
Der Tätigkeitsschwerpunkt hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert – von einer häufig rein operativen Kodiertätigkeit hin zur strategischen Steuerungseinheit im Krankenhaus. Die drei klassischen Säulen – Kodierung, Erlössicherung, strategische Beratung – bleiben bestehen, werden aber durch neue Themen wie Prozessgestaltung, Digitalisierung, Ambulantisierung und Patientendatenmanagement ergänzt und bilden wichtige Merkmale der Zukunft.
Für die künftige Ausrichtung ist entscheidend, dass das Medizincontrolling flexibel, qualifiziert und datenbasiert arbeiten kann. Es muss Entwicklungen früh erkennen, analysieren und in die Häuser hineintragen. Dabei ist das Selbstverständnis entscheidend: Medizincontroller sind heute keine Datensammler mehr, sondern Kümmerer, Lotsen und Manager – mit Blick auf das Ganze.
Claudia Gade
Sales Consultant Medizincontrolling
Dedalus HealthCare
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Hauke E. Helling, M.A.
Senior Specialist MedCo Knowledge Transfer
Hinweis: Dieser Artikel ist in dem KU Special Medizincontrolling 2025 erschienen.